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Kleine Kohlenphilosophie (Berlin Februar 1947)

Wir saßen am kalten Ofen - Anastasius und ich.
„Kalt“, miaute er.
„Ja, wir haben eben keine Kohlen mehr“, sagte ich.
„Ist ja auch Krieg“, meinte Anastasius.
„Aber ganz im Gegenteil, Anastasius, wir haben Frieden“, entgegnete ich.
„Schon lange?“ fragte er.
„Na, immerhin seit fast zwei Jahren.“
„Warum kaufen wir uns denn keine Kohlen?“
fragte er nach einigem Nachdenken.
„Weil es keine gibt!“
„Ach, da besitzt Deutschland wohl keine Kohlen?“ wollte er wissen.
„Doch, doch, sogar sehr viele im Ruhrgebiet.“
„Na, und warum werden die nicht hertransportiert?“
„Weil es an Transportmitteln, an Bergleuten
und noch an einigem anderen fehlt.“
„Und das, obwohl wir schon zwei Jahre Frieden haben?“ fragte er.
„Tja, und dann soll wohl auch die Ernährung
für die Bergarbeiter nicht genügen, und dann
müssen auch Kohlen exportiert werden, und
dann ... ach, was weiß ich, jedenfalls gibt es
keine Kohlen!“
„Aber Deutschland hat bestimmt soviel davon,
daß wir nicht zu frieren brauchten, wenn alles
andere klappte?“
„Bestimmt, Anastasius!“
„Und da sollte sich mit viel gutem Willen keine
Lösung finden lassen, das verstehe ich nicht“,
sagte er nach einer langen Pause.
Und das war genau das, was ich dachte.


Das große Bibbern ohne Ende

„Meinst du, daß es in diesem Jahr überhaupt
noch einmal wärmer Wird?“ mauzte Anastasius,
mißtrauisch das Thermometer betrachtend.
„Ich bin doch kein zugelassener Wetterprophet
mit Ausweis der Prophetenkammer“, sagte ich
verärgert und kroch fast in den kleinen Ofen
hinein.
„Kein Wetterprophet?“ mauzte Anastasius weiter
und kroch ebenfalls an das Öfchen heran . . .
„Ja, wüßtest du es denn, wenn du Wetterprophet
wärst'?“
„Ich habe keine Ahnung, ob die Wetterpropheten
es wissen“, entgegnete ich unwillig, „sie sagen
es jedenfalls voraus.“
„So _ sie sagen es voraus? - Und geht denn
wenigstens in Erfüllung, was sie voraussagen . . .`?“
„Manchmal, Anastasius, manchmal . . . Voriges
Jahr zum Beispiel hat es einige Male gestimmt,
als sie zu den Sonntagen Regen prophezeiten...
Aber an den Sonntagen, an denen man sich
etwas vorgenommen hat, regnet es ja sowieso
immer.“
„Und dieses Jahr stimmt es nicht, was sie vor-
aussagen?“
„Nein, dieses Jahr stimmt überhaupt nichts
mehr“, sagte ich melancholisch . . .
„Du meinst also, daß es überhaupt nicht mehr
wärmer wird?“
„Ende März müßte kalendermäßig der Frühling
einsetzen, Anastasius . . . Dann muß es eigentlich wärmer werden . . . Jedenfalls ist das seit einigen zehntausend Jahren so . . .“
„Und wenn es auch Ende März nicht wärmer
wird?“
„Dann vielleicht im April oder Mai . . .“
„Und wenn es auch im Mai nicht wärmer
wird?“
„Dann, Anastasius“, sagte ich, ihm energisch das
Wort abschneidend, „dann sind wir längst erfroren.“


Die Post in der Eiszeit

„Wer hat denn geschrieben?“ wollte Anastasius
wissen und beschnupperte neugierig den Brief,
den ich kopfschüttelnd las.
„Tante Agathe aus Klein-Karauschen“, sagte ich.
„Was will sie denn?“
„Das weiß ich selbst nicht recht - sie schreibt
jedenfalls, daß sie uns zu Weihnachten 
besuchen will.“
„Und warum schüttelst du darüber den Kopf?“
„Na, höre mal, Anastasius, es ist doch eigentlich 
nicht üblich, jemand bereits im Februar
mitzuteilen, daß man ihn im Dezember besuchen
will. Und dann halte ich es für ausgeschlossen,
daß uns Tante Agathe wirklich besucht.“
„Warum ist denn das so ausgeschlossen?“
„Weil Tante Agathe bereits im Dezember 1945
gestorben ist.“ »
„Irrst du dich da auch nicht? Weißt du das ganz
bestimmt?“
„Ganz bestimmt, Anastasius.“
„Dann ist der Brief wahrscheinlich gar nicht von
ihr?“
„Doch, der ist ganz sicher von ihr. Ich kenne
doch Tante Agathes altmodische Handschrift
mit den vielen Schnörkeln.“
„Wenn Tante Agathe tot ist, kann sie doch den
Brief nicht geschrieben haben - da muß doch
irgendein Dritter die Hand im Spiele haben.
Kannst du dir gar nicht denken, wer sich da
einen üblen Scherz mit dir geleistet hat?“
„Doch, Anastasius, die Post“, sagte ich, nachdem
ich mir den Umschlag nochmals genauer be-
trachtet hatte, „der Brief ist nämlich vom
30. November 1945.“


Kleiner Rest aus „großer Zeit“

„Was hast du denn da eingekauft?“ fragte
Anastasius neugierig und versuchte, die Schnur
des eingewickelten Päckchens durchzubeißen.
„Du Wirst es nicht für möglich halten, Anastasius, ich habe eine Rolle Toilettenpapier bekommen.“
„Nanu, durch welche Beziehungen bist du denn
zu so einer Rarität gekommen?“
„Durch gar keine - ich habe die Rolle ganz
normal in einem Seifengeschäft erstanden.“
„Die konnte man da so ohne weiteres ganz
offiziell kaufen?“
„Ganz offiziell eigentlich nicht. Ich sah hinter
dem Ladentisch einige Rollen und verlangte
daraufhin eine von der Verkäuferin.“
„Und die gab sie dir auch gleich?“
„Gleich nun auch Wieder nicht. Sie dürfe die
Rollen nicht verkaufen, sagte sie, die wären
nicht für den ,zivilen Sektor“ bestimmt.“
„Und dann . . .?“
„Dann machte ich sie darauf aufmerksam, daß
diese Verfügung doch noch aus dem Krieg stammen müsse ,und heute keine Gültigkeit mehr hätte, und das sah sie auch ein, und ich zog vergnügt mit meiner Rolle ab.“
„Na, siehst du“, sagte Anastasius und sprang
mit einem Hops auf den Tisch, „da hast du
wenigstens mal eine kleine Freude gehabt.“
„Trotz der ,kleinen Freude“ wirst du sofort vom
Tisch heruntergehen“, schalt ich ärgerlich.
„Störe mich nicht“, erwiderte Anastasius vornehm,  „ich muß mir meinen zivilen Sektor putzen.“


Anastasius und die Kalorienfrage

„Na, bist du nun satt?“ fragte ich Anastasius
nach dem Abendbrot und streichelte ihm das
Fell.
„Nein“, sagte er, „und du?“
„Auch nicht sehr“, gestand ich kleinlaut.
„Dann mußt du eben noch eine Sonderzuteilung
Brot herausrücken.“
„Ausgeschlossen, Anastasius, „mir stehen ungefähr 1800 Kalorien pro Tag zu, und mehr darf nicht gegessen werden.“
„Und wieviel Kalorien stehen mir zu?“
„Dir? Eigentlich gar keine, aber ich gebe dir
gutwillig 200 Kalorien pro Tag davon ab.“
„Das ist entschieden zu wenig“, sagte er, „du
siehst doch, daß ich davon nicht satt werde.
Du mußt unbedingt meine Ration erhöhen.“
„Geht nicht, Anastasius, ich habe dir das doch
eben mit den Kalorien auseinandergesetzt.“
„Vielleicht kannst du mir doch so ein paar ganz
kleine Kalorien mehr geben . . .?“
„Jetzt gib schon Ruh . . . ich habe dir gesagt;
es geht nicht und damit basta!“
„Auch nicht ein paar . . .“
„Anastasius . . .!“
„Weißt du was?“ sagte er nach einer Weile tiefen
Nachdenkens und stolzierte zur Tür, „gib mir
jeden Tag ein halbes Pfund Fleisch, dann kannst
du deine Kalorien in Zukunft ganz allein essen.“


 

Für eine Katze bedeutet Treue nicht, immer dazu bleiben, sondern immer wiederzukommen. (Klara Löwenstein)

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